Steuerrecht – Quo vadis? mit Peter Hongler
In dieser Ausgabe von „Stefan will’s wissen“ spricht Stefan Wigger mit Peter Hongler, Professor für Steuerrecht an der Universität St. Gallen, über aktuelle Reformen, internationale Steuertrends und die Frage nach Gerechtigkeit im Steuersystem.
Das ganze Interview
Stefan will's wissen mit Peter Hongler
Peter Hongler ist Professor für Steuerrecht an der Universität St. Gallen und Direktor am Institut für Law and Economics.
Sein Forschungsschwerpunkt liegt im internationalen Steuerrecht, daneben befasst er sich auch mit grundlegenden Fragen des nationalen Steuerrechts. Zudem hat er bereits verschiedene Behörden und politische Gremien in steuerpolitischen Belangen beraten.
Steuerrecht im Wandel: Normale Entwicklung oder Paradigmenwechsel?
Stefan Wigger: Du bist jemand, der im Steuerrecht den Blick für das grosse Ganze hat und dich mit der normativen Einordnung des politisch geprägten Steuerrechts auseinandersetzt. Derzeit beobachten wir auf nationaler wie internationaler Ebene tiefgreifende, teils geradezu revolutionär anmutende Entwicklungen. Genannt seien etwa die Abschaffung der Eigenmietwertbesteuerung, die Einführung der Individualbesteuerung auf nationaler sowie die Einführung der Mindeststeuer (Pillar II) auf internationaler Ebene. Sind das übliche Begleiterscheinungen eines gesellschaftlichen Wandels – oder handelt es sich um Veränderungen, die das Steuerrecht nachhaltig prägen werden? Wie beurteilst du das?
Peter Hongler: Ich glaube das Schöne an unserem Beruf ist, dass es immer wieder Änderungen gibt. Das gehört zum politischen Prozess. Vielleicht ist in den letzten zwei bis drei Jahren einfach besonders viel gleichzeitig passiert. Und mit viel meine ich grosse Vorlagen. Genau das Bild, das du angesprochen hast und das auch mich interessiert.
Die Abschaffung der Eigenmietwertbesteuerung ist sehr teuer für den Staat – ebenso wie die Beseitigung der sogenannten Heiratsstrafe. Wenn solche Themen innerhalb von zwei Jahren gleichzeitig verhandelt werden, ist das auch für den Fiskalstaat Schweiz eine grosse Herausforderung.
Die von dir erwähnte Mindestbesteuerung ist historisch. So etwas gab es noch nie. Man kann hier durchaus von einem Paradigmenwechsel sprechen. Was nationale Vorlagen betrifft: Diese ändern sich ständig. Vielleicht stimmen wir in fünf Jahren schon wieder über deren Einführung ab, das lässt sich nicht vorhersagen.
Gerechtigkeit im Steuerrecht – Illusion oder realistische Zielsetzung?
Stefan Wigger: Du beschäftigst dich auch aktiv mit der philosophischen Frage der Gerechtigkeit im Steuerrecht. Politische Entscheidungen im Steuerbereich werden oft mit Gerechtigkeitsüberlegungen begründet – auch wenn wir wissen, dass Recht nicht gleich Gerechtigkeit ist. Gibt es trotzdem so etwas wie Gerechtigkeit im Steuerrecht? Und kann es diese sogar auf internationaler Ebene geben?
Peter Hongler: Gerechtigkeit im Steuerrecht gibt es durchaus – aber ich glaube, wir überschätzen ihren Einfluss.
Wie du sagst, wird häufig diskutiert, ob eine Vorlage gerecht ist oder nicht. Wichtig ist zu verstehen: Das Steuersystem ist nur ein Teil des Ganzen, genauso entscheidend ist das Ausgabensystem. Und beide Systeme hängen voneinander ab.
Was die Bürgerinnen und Bürger am meisten interessiert, ist: Wie viel habe ich unter dem Strich übrig? Entscheidend ist, wie viel ich zahle und was ich dafür zurückbekomme. Steuern sind dabei nur ein Teil dieser Gleichung.
Ein weiterer Punkt: Wir wissen oft gar nicht genau, wer die Steuerlast effektiv trägt. Ein gutes Beispiel ist die Gewinnsteuer. Politisch wird oft gefordert, sie zu erhöhen oder zu senken – aber wer zahlt sie tatsächlich? Der Mitarbeiter? Der Investor? Der Kunde? Wahrscheinlich eine Mischung. Deshalb ist es schwierig, ein klares Gerechtigkeitsideal zu formulieren, wenn unklar ist, wer letztlich den zusätzlichen Franken trägt, den der Staat braucht.
Globale Mindeststeuer: Politische und rechtliche Herausforderungen
Stefan Wigger: Das internationale Steuerrecht basiert traditionell auf gewachsenen Spielregeln, insbesondere den Doppelbesteuerungsabkommen, dem „Gral“ des internationalen Steuerrechts. Die Einführung der globalen Mindeststeuer hat nun Auswirkungen auf alle relevanten rechtlichen Ebenen: staatsvertraglich, verfassungsrechtlich und gesetzlich. Wie beurteilst du diese Entwicklung und was bedeutet sie für den internationalen Standortwettbewerb der Schweiz?
Peter Hongler: Wichtig ist zu verstehen, dass die Mindeststeuer ein Versuch ist, der Versuch einiger Staaten, den Steuerwettbewerb auf einen Mindeststeuersatz von 15 % zu begrenzen. In den nächsten Jahren wird sich zeigen, ob dieser Versuch gelingt.
Zwei Risiken sind dabei zentral: ein Politisches und ein Rechtliches.
Politisch: Mit der Trump-Regierung, die der Mindestbesteuerung kritisch gegenübersteht, könnte die Reform das Jahr 2025 nicht überleben – vor allem, wenn sich die Spannungen weiter verschärfen.
Rechtlich: Die Umsetzung wird häufig unterschätzt. Ich persönlich habe von Anfang an bezweifelt, dass sie in der jetzigen Form funktioniert – insbesondere wegen der sogenannten UTPR, dem letzten Puzzleteil der Reform. Hier stellen sich zahlreiche juristische Fragen. In Belgien laufen bereits Verfahren vor dem Verfassungsgericht und auch in anderen Ländern sind Klagen zu erwarten.
Ob sich diese Mindestbesteuerung langfristig durchsetzt, ist also offen.
Wie die Mindeststeuer den Standortwettbewerb verändert
Stefan Wigger: Wie wirkt sich die Begrenzung des Steuerwettbewerbs auf 15 % auf die kantonalen Steuerpolitiken aus?
Peter Hongler: Entscheidend bleibt die Rechtssicherheit, dass sich alle an geltendes Recht halten und unsere Verwaltungen effizient arbeiten. Hier ist die Schweiz weiterhin sehr gut aufgestellt.
Aber klar ist: Die Begrenzung des Steuerwettbewerbs hat bereits Auswirkungen. Im Kanton Basel-Landschaft gab es kürzlich eine Abstimmung und Zug hat ebenfalls eine Vorlage präsentiert. Wenn der Wettbewerb auf 15 % gedeckelt wird, entsteht eine neue Form des Standortwettbewerbs.
Ökonomisch ist das gar nicht so anders als früher: Früher senkte man Steuern durch zusätzliche Abzüge – heute durch Subventionen. Der Effekt ist ähnlich.
Und ja, die Schweiz muss dieses Spiel mitspielen und ich denke, sie ist gut darauf vorbereitet.
Globale Mindestbesteuerung für Milliardäre
Stefan Wigger: Es gibt auch internationale Bestrebungen auf Ebene der G20, eine globale Mindestbesteuerung von Privatpersonen, insbesondere Milliardären, einzuführen. Wie schätzt du diese Entwicklungen ein?
Peter Hongler: Diskutiert wird tatsächlich eine globale Mindestbesteuerung für Milliardäre. Aber das ist nur umsetzbar, wenn die bestehende Mindestbesteuerung bei Unternehmen funktioniert, denn sie basiert auf einem ähnlichen rechtlichen Konzept.
Wenn sie aus rechtlichen Gründen scheitert, wird auch das Vorhaben bei Privatpersonen kaum umsetzbar sein. Ich sehe die Chancen derzeit als eher gering, zumal die aktuelle US-Regierung noch im Amt ist und dem Vorhaben ablehnend gegenübersteht.
Wahrscheinlicher ist, dass sich die G20-Staaten, ähnlich wie bei den Holdingprivilegien, auf die Abschaffung schädlicher Steuerregimes einigen. Das wäre rechtlich einfacher und daher realistischer.
Quo vadis im Steuerrecht?
Stefan Wigger: Zum Abschluss: Wenn wir die Themen nochmals Revue passieren lassen, wie lautet dein Fazit? Quo vadis, Steuerrecht?
Peter Hongler: National hängt vieles von der Ausgabenquote ab. Die 13. AHV beispielsweise kostet enorm viel. Wenn wir weiterhin hohe Ausgaben beschliessen, hat das zwangsläufig steuerliche Konsequenzen, das Geld muss irgendwoher kommen.
International wird der Druck zunehmen, dass sogenannte „Marktstaaten“ ein grösseres Besteuerungsrecht erhalten. In einer digitalisierten Welt macht es keinen Sinn mehr, Besteuerung nur an physische Präsenz zu knüpfen. Dieser Wandel ist unumgänglich.
Das wollte man schon mit der ersten Säule der OECD erreichen, sie ist gescheitert. Aber es werden neue Projekte folgen. Die Digital Services Tax, auch in der Schweiz als „Netflixsteuer“ bekannt, ist ein Beispiel dafür.
Ich denke: Das ist eine Entwicklung, die sich nicht aufhalten lässt.
Stefan Wigger: Vielen Dank lieber Peter, für dieses interessante Gespräch!
Lust auf mehr Neuigkeiten?
Auf LinkedIn oder mit unserem Newsletter bleiben Sie auf dem neusten Stand. Ausserdem sprechen wir in unserem finanzklang-Podcast mit Fachexperten und geben auf Instagram Einblicke in unser Unternehmen.