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Sparschwein Gemeinwesen

Grundlegend überarbeiteter Entwurf unter Berücksichtigung der MWST-Grundsatzurteile des Bundesgerichts zum erweiterten Vorsteuerabzug bei Gemeinwesen

Die Eidgenössische Steuerverwaltung, Hauptabteilung MWST («ESTV»), hat am 11. August 2023 den mit Spannung erwarteten ersten Entwurf der MWST-Branchen-Info 19 («MBI 19») publiziert. Die bisherige Broschüre wurde dabei grundlegend überarbeitet. Die ESTV hat die wegweisenden Bundesgerichtsurteile zum erweiterten Vorsteuerabzugsrecht bei Gemeinwesen in ihre Publikation aufgenommen, wobei leider detaillierte Erläuterungen zur Umsetzung, aber auch zur Vergangenheitsbereinigung fehlen. Gleichzeitig hat sie zahlreiche Praxisänderungen, Praxispräzisierungen und erstmalige Praxisfestlegungen aufgenommen, mit denen sie proaktiv Klarheit schafft.

Hintergrund der Praxisanpassung

Der Entwurf zeigt die Richtung der neuen Verwaltungspraxis auf und ist insgesamt ein praxisorientiertes Werk. Die Gemeinwesen sollten anhand des Entwurfes so zeitnah wie möglich die Handlungsspielräume prüfen, insbesondere im Hinblick auf die Verjährung. Sie haben zudem die Möglichkeit, bis zum 3. Oktober 2023 bei der ESTV eine Stellungnahme einzureichen.

Das Bundesgericht hat in wegweisenden Entscheiden (2C_356/2020 vom 21. Oktober 2020, 2C_2/2022 vom 22. November 2022 sowie 9C_736/2022 vom 3. April 2023) die bisherige Praxis der ESTV zur Vorsteuerkürzung bei «Finanzierungsmittelflüssen» innerhalb des Gemeinwesens beanstandet. Nach bisheriger Praxis der ESTV führten diese bei effektiv abrechnenden Steuerpflichtigen grundsätzlich zu einer Vorsteuerkürzung. Aufgrund der Rechtsprechung musste die ESTV nun ihre gesetzeswidrige Praxisregelung für Gemeinwesen anpassen.

Wesentliche Änderungen

a) «Finanzierungsmittelflüsse im Gemeinwesen» und die Auswirkung auf das Vorsteuerabzugsrecht

Eine zentrale Änderung bildet die neue Definition von «Finanzierungsmittelflüssen» in Gemeinwesen und deren MWST-Folgen.

  • Einlagen in Unternehmen:
    Die ESTV erläutert, wann bei Gemeinwesen ein Einlagen in ein Unternehmen vorliegen, welche als Nicht-Entgelt im Sinne von Art. 18 Abs. 2 Bst. e. MWSTG gelten und keine Vorsteuerkürzungsfolgen auslösen.
  • Beiträge oder allfällige Defizitdeckungen von einer Dienststelle an eine andere Dienststelle des gleichen Gemeinwesens:
    Diese gelten nicht als Subventionen i. S. v. Art. 18 Abs. 2 Bst. a MWSTG und lösen keine Vorsteuerkürzung aus.
  • Keine Beiträge innerhalb eines Gemeinwesens liegen vor, falls hoheitliche Tätigkeiten oder eine konkrete Gegenleistung erbracht wird.
  • Nicht-Entgelte i.S.v. Art. 18 Abs. 2 Bst. a–c MWSTG, die Vorsteuerkürzungsfolgen auslösen, liegen vor, wenn sie von einem anderen Gemeinwesen (z.B. von Bund oder Kanton) bzw. einer Institution wie z.B. Loterie Romande oder Swisslos erfolgen.

Neu sind die nach der effektiven Methode abrechnenden autonomen Dienststellen von Gemeinwesen grundsätzlich sowohl in der Investitionsrechnung als auch in der laufenden Rechnung im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit grundsätzlich zum Vorsteuerabzug berechtigt, unabhängig davon, ob sie spezialfinanziert sind oder nicht. Dies kann insbesondere für nicht spezialfinanzierte Betriebe wie z.B. Frei-/Schwimmbäder, Museen und andere Bereiche der Kulturförderung, Schulen und Werkhöfe zu Vorteilen führen.

Die ESTV zeigt auf, welche Ertragspositionen und Mittelflüsse für die Berechnung des Vorsteuerabzugs nicht relevant sind. Lobenswert stellt die ESTV den Steuerpflichtigen neu ein vereinfachtes Berechnungsformular zur Verfügung, mit welchem die Vorsteuerkürzungen und Vorsteuerkorrekturen berechnet werden können. Das Formular ist noch nicht auf der Website der ESTV aufgeschaltet (Stand Ende August 2023).

Leider hat sich die ESTV nicht detailliert zu möglichen Fallkonstellationen und zum Vorgehen bei einer rückwirkenden Anwendung oder über die Konsequenzen bei einem Wechsel der Abrechnungsmethode aufgrund der bisher rechtswidrigen Praxis geäussert.

b) Hoheitliche Tätigkeiten

Im Bereich der hoheitlichen Tätigkeiten hat die ESTV Praxisbeispiele eingefügt, so insbesondere zur MWST-Handhabung bei der Beauftragung eines anderen Gemeinwesens im hoheitlichen Kompetenzbereich.

Beispielgrafik für die Abgrenzung hoheitliche Tätigkeit:

c) Erläuterungen zum Drittpreis

Neu definiert die ESTV die Grundsätze zum Drittpreis bei Preisen von Dienststellen des gleichen Gemeinwesens. Sie akzeptiert gemäss der Publikation die verbuchten Beträge, sofern die Gemeinwesen den HRM2-Grundsatz «True and Fair View» anwenden. Dies bedeutet, dass die erbrachten Leistungen zu Preisen verrechnet werden, welche die tatsächliche wirtschaftliche Leistung widerspiegeln. Über die Angemessenheit von Gemeinkosten-, Risiko- und Gewinnzuschlägen werden leider keine Aussagen gemacht. Es bleibt abzuwarten, wie die ESTV dies künftig handhaben wird; insbesondere unter Berücksichtigung der Rechtsprechung und dem möglichen Risiko einer Steuerumgehung (z.B. optierte Vermietung zu verhältnismässig zu geringen Preisen).

Beispielgrafik für eine Drittpreiskonstellation:

d) Buchführung und Aufbewahrung von Belegen

Die ESTV äussert sich ergänzend zu den Vorschriften nach Art. 70 MWSTG und z.B. Art. 957 OR zu den Rechnungslegungsvorschriften nach HRM2. Werden diese Grundsätze gemäss HRM2 eingehalten, kann für die MWST-Belange (Berechnung der Steuerschuld, Vorsteuerkürzung/-korrektur usw.) grundsätzlich auf die in der Buchhaltung verbuchten Werte abgestellt werden.

Zudem zeigt die ESTV erstmals auf, wie die Gemeinwesen die Umsatz- und Vorsteuerabstimmung vorzunehmen haben.

Handlungsschritte für Gemeinwesen

Bei der publizierten Praxis handelt es sich um einen ersten Entwurf. Sie hat noch keine rechtsverbindliche Wirkung. Neben den Ergebnissen der Vernehmlassung werden auch die Rückmeldungen des MWST-Konsultativgremiums in die weitere Überarbeitung einfliessen. Es bleibt abzuwarten, ob die ESTV aufgrund der Rückmeldungen einen weiteren Entwurf oder direkt die definitive Praxis veröffentlichen wird.

Der aktuelle Entwurf der MBI 19 zeigt den Gemeinwesen jedoch bereits eine Stossrichtung an. Aus diesem Grund sollten die Verantwortlichen der Gemeinwesen - insbesondere unter Berücksichtigung des bevorstehenden Jahreswechsels - die MWST-Situation aller Dienststellen, Anstalten etc. analysieren, um noch vor Jahresende entsprechende Schritte einleiten zu können.

Ungeklärt ist derzeit die Frage, ob im Rahmen der Verjährung ein rückwirkender Wechsel der Abrechnungsmethode möglich ist, sofern sich das steuerpflichtige Gemeinwesen auf die Richtigkeit der bisher publizierten Behördenpraxis verlassen und damit allenfalls eine nachteilige Wahl der Abrechnungsmethode getroffen hat.

Unklar ist auch, ob die ESTV bei einem künftigen Wechsel der Abrechnungsmethode zumindest eine Einlageentsteuerung gewähren wird.

Vereinfachte Darstellung:

Durch rechtzeitiges Handeln können sich – je nach Ausgangslage – für Gemeinwesen erhebliche MWST-Vorteile ergeben. Gerne unterstützen wir Sie bei der Evaluation des möglichen Optimierungspotenzials sowie bei den weiteren Umsetzungsschritten.

Gemeinwesentalk am 26. Oktober 2023

Wir zeigen den Verantwortlichen der Gemeinwesen die Neuerungen gemäss dem veröffentlichten Entwurf der MBI 19 auf. Zudem thematisieren wir mögliche Vorgehensweisen und Optimierungsmöglichkeiten, aber auch die damit verbundenen Stolpersteine. Im Rahmen der Veranstaltung können sich die Vertreter der Gemeinwesen aktiv austauschen.

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  • Marc Oliver Müller

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    Master of Law

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    Betriebsökonom FH, dipl. Steuerexperte, MAS FH in MWST, LL.M. VAT

  • Alois Köchli

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    Betriebsökonom FH, dipl. Wirtschaftsprüfer