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Neues MWST-Grundsatzurteil des Bundesgerichts für Gemeinwesen:

Grundsätzliches Vorsteuerabzugsrecht bei Investitionen nicht spezialfinanzierter Dienststellen

Das Bundesgericht («BGer») bestätigt in seinem Grundsatzurteil 2C_2/2022 (Urteil vom 22. November 2022), dass nicht spezialfinanzierte Dienststellen die im Zusammenhang mit Investitionen angefallenen Vorsteuern grundsätzlich in Abzug bringen können, wenn die Investition für der MWST unterliegende Zwecke genutzt wird. Solche Mittelflüsse stellen nicht per se Subventionen bzw. andere öffentlich-rechtliche Beiträge nach Art. 18 Abs. 2 Bst. a MWSTG dar.

Praxis der ESTV

Gemäss der publizierten Praxis der Eidgenössischen Steuerverwaltung, Hauptabteilung MWST («ESTV»), können Dienststellen ohne Spezialfinanzierung die in der Investitionsrechnung angefallene Vorsteuer grundsätzlich nicht in Abzug bringen. Dies, weil die Finanzierung der Investitionen nicht durch steuerbare Zweckgebühren erfolgt, sondern mit anderen Mitteln; meist mit allgemeinen Steuereinnahmen (MWST-Branchen-Info 19, Ziffer. 7.3.1). Die ESTV qualifiziert diese anderen Mitteflüsse als Subventionen bzw. andere öffentlich-rechtliche Beiträge. Diese schliessen einen Anspruch auf Vorsteuerabzug aus.

Grundsatzurteil des BGers

Das BGer kommt im beurteilten Fall zum Ergebnis, dass die Finanzierung der Investition durch allgemeine Steuergelder nicht per se eine Subvention oder andere öffentlich-rechtliche Beiträge im Sinne von Art. 18 Abs. 2 Bst. a MWSTG darstellen, wie dies die langjährige Praxis der ESTV sieht. Das Gericht schränkt in seinem Urteil den von der ESTV ausgedehnten Subventionsbegriff ein. Gemäss der Auffassung des Gerichts richtet das Gemeinwesen nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch keine Subvention aus, solange es die Mittel lediglich von einer auf eine andere Dienststelle desselben Gemeinwesens umbucht. Mittelflüsse innerhalb desselben Gemeinwesens sind nicht vergleichbar mit Mittelflüssen aus dem Gemeinwesen an private Empfänger. Bei solchen Mittelflüssen innerhalb eines Gemeinwesens fehlt regelmässig der Ausgaben- respektive Einnahmencharakter. Das BGer stützt das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil A-2566/2020, vom 11. November 2021).

MWST-Folgen gemäss dem Urteil für Gemeinwesen

Das Urteil und das dadurch zugestandene Vorsteuerabzugsrecht wirken sich positiv auf die Schweizer Gemeinwesen aus (z. B. bei Dienststellen mit Hallen- und Freibädern, Parkplätzen, optiert vermieteten Liegenschaften etc.). Die ESTV analysiert derzeit die weitreichenden Folgen des Urteils und wird ihre oben genannte Praxis anpassen müssen.

Gemeinwesen sollten aufgrund des Urteils grundsätzlich ihre MWST-Situation überprüfen, ob insbesondere bei nicht spezialfinanzierten Dienststellen eine Optimierung durch (nachträgliche) Vornahme des Vorsteuerabzugs auf Investitionen möglich ist.

Für Gemeinwesen bieten sich nachfolgende mögliche Handlungsschritte an:

a. Im MWST-Register eingetragene, nicht spezialfinanzierte Dienststellen

  • Diese sollten prüfen, inwieweit in den vergangenen Jahren bzw. nicht verjährten Steuerperioden Vorsteuerkürzungen auf Investitionen aufgrund der Praxis der ESTV vorgenommen wurden.
  • Sofern Vorsteuerkürzungen vorgenommen wurden, können diese gestützt auf das voranstehend erwähnte Urteil grundsätzlich nachträglich zurückgefordert werden. Dies setzt den konkreten Nachweis der angefallenen Vorsteuer voraus.
  • Es ist im Einzelfall zu prüfen, in welcher Form die Vorsteuern effektiv geltend gemacht werden können (z. B. Korrektur der eingereichten Abrechnungen, Vornahme einer Einlageentsteuerung etc.). In diesem Zusammenhang ist auch den Verjährungsfolgen (insbesondere Unterbrechungshandlungen) Beachtung zu schenken.
  • Es ist zu beachten, dass mit voranstehend genannten Massnahmen jederzeit eine MWST-Kontrolle durch die ESTV ausgelöst werden kann.

b. Nicht im MWST-Register eingetragene, nicht spezialfinanzierte Dienststellen

  • Auch diese sollten prüfen, ob bisher Investitionen getätigt wurden, welche zumindest teilweise für steuerbare Zwecke genutzt werden bzw. werden können (darunter fällt beispielsweise auch die künftig optierte Vermietung von Liegenschaften).
  • Je nach Höhe der angefallenen Vorsteuern wäre eine freiwillige Steuerpflicht und Eintragung im Register der MWST-Pflichtigen gegebenenfalls vorteilhaft; frühestens rückwirkend per 1. Januar 2022.

Fazit

Durch rechtzeitiges Handeln können sich für Gemeinwesen, je nach Ausgangslage, erhebliche MWST-Vorteile ergeben.

Gerne unterstützen wir Sie bei der Evaluierung des möglichen Optimierungspotenzials sowie den weiteren Schritten im Rahmen der Umsetzung.

Ihre Ansprechpersonen

  • Marc Oliver Müller

    Marc Oliver
    Müller

    Master of Law

  • Marco Frappa

    Marco
    Frappa

    Betriebsökonom FH, dipl. Steuerexperte, MAS FH in MWST, LL.M. VAT

  • Alois Köchli

    Alois
    Köchli

    Betriebsökonom FH, dipl. Wirtschaftsprüfer